2004 - DIE ZEIT (Online)

DIE ZEIT (Online), Sonja Goernitz, "Wer dem Tourguide traut...", June 2004

Wer dem Tourguide traut...

...kann im australischen Busch eine Menge erleben – und mit ein bisschen Glück auch überleben


Wer eine Kreditkarte hat, ist meist auch automatisch lebensversichert. Das fiel uns ein, nachdem wir mit Andy zu einer Safari im Kakadu Nationalpark in der Nähe von Darwin im Northern Territory Australiens aufgebrochen waren. Andy war 23, Biologiestudent und unser Tourguide. Den Job hatte er zwei Wochen zuvor angetreten. Er wollte uns acht Touristen zu Wasserfällen, einem Kulturzentrum der Aborigines und Schlafplätzen im Busch führen. Zufällig waren zwei britische Notärzte und eine Krankenschwester aus Neuseeland dabei. Auch das beruhigte.

„Wenn ihr den Wasserfall sehen wollt, gibt es zwei Möglichkeiten: schwimmen oder die Felswand entlang klettern“, sagte Andy am ersten Tag. Natürlich wollten wir den Wasserfall sehen. Für solche Schönheiten hatten wir die Tour gebucht. Ein Schild warnte vor Frischwasserkrokodilen (eher harmlos). Nur gelegentlich seien Salzwasserkrokodile (eher weniger harmlos) entdeckt, gefangen und anderswo wieder ausgesetzt worden. Baden auf eigene Gefahr. Am gegenüberliegenden Flussufer sonnten sich zwei Freshies auf einem Felsen.

Die Gruppe schwamm flussaufwärts zum Wasserfall. Andy kletterte. Mit ausgebreiteten Armen hing er in der Wand, seinen kleinen Rucksack auf den Rücken geschnallt. Akrobatisch. Dann tauchten keine zwei Meter entfernt die Augen eines Krokodils auf. Es war wohl ein Freshie. Es musste ein Freshie sein. Es guckte. Wir guckten zurück und wichen ein bisschen zur rechten Seite aus, während sich das Krokodil eher links hielt. Später prasselte vom blauen Himmel der Wasserfall auf fast weißen Sand, die Felswände standen im Halbkreis drumherum. Wie im Traum.

Wieder unterwegs raste Andy mit uns und dem Jeep mit 100 km/h über die Schotterpiste. „Wir müssen so fahren, damit wir nicht jedes Schlagloch mitnehmen“, erklärte Andy. Wir sahen Büsche und Bäume an uns vorbeifliegen und schließlich das Hinterrad des Anhängers. Es überholte uns rechts und prallte in einiger Entfernung gegen einen Baum. So saßen wir gegen Mittag bei etwa 40 staubtrockenen Grad unter den vereinzelten Bäumen und warteten, bis Andy entschied, Rad samt Anhänger am Wegrand zurückzulassen. Das Gepäck und die Vorräte kamen zu uns nach vorn auf die zwei Bänke und wurden angeschnallt.

Drei Tage lang sahen wir keine Dusche. Auf das Kulturzentrum der Aborigines freuten wir uns dann vor allem deshalb, weil es blitzblanke Waschräume hatte. Die meiste Zeit unseres Besuchs nutzten wir daher, um Staub, Dreck und Schweiß abzuwaschen. Doch das gute Gefühl währte nicht lange. Wir mussten Holz sammeln für das Lagerfeuer. „Passt auf. Es gibt giftige Spinnen, die im trockenen Holz leben“, sagte Andy. Und so saßen wir kurz darauf - wieder mit verschwitzten Shirts und dreckigen Händen - im Jeep, den wir jetzt auch noch mit Ästen und Zweigen und möglicherweise giftigen Spinnen teilten.

Später am Lagerfeuer schossen ein Meter hohe Flammen aus dem Wok. Doch das Essen war lecker, vor allem mit viel kühlem Bier dazu. Wir schliefen in swags, robusten Schlafsäcken, auf dem Boden, über die wir wegen der Mücken so nah am Wasser Netze spannten. Ob Krokodile nicht das Abendessen riechen konnten? Doch solche Fragen sollte man sich unter so vielen Sternen in der dunkelblauen Ferne nicht stellen.

Auf jeden See, auf jede Oase, Lagune und über jeden Wasserfall freuten wir uns – zum Abkühlen und Sauberwerden. In eines dieser Wasserlöcher sprang Andy kopfüber hinein, verschwand und tauchte im Fluss daneben wieder auf. Das sah gut aus. Also sprangen auch wir ins Loch und tauchten. Es wurde immer dunkler, wir konnten nichts sehen und tauchten wieder auf. Wo sollte dort unten ein Tunnel sein? „Tiefer unten“, antwortete Andy. Wir versuchten es noch mal. Holten uns im Stockfinstern Beulen an den Köpfen. Doch ein Zurück gab es nicht, denn der Wasserspiegel lag gut anderthalb Meter unter der Kante des Felslochs, dessen Wände senkrecht und glitschig waren. Wer hätte uns da herausziehen sollen. Also noch einmal noch tiefer tauchen. Ganz unten schimmerte ein heller Fleck.

Dort konnte man hindurchschwimmen, um in den Fluss zu gelangen. Zurück in die Freiheit. Am Nachmittag fütterten wir Salzwasserkrokodile im Mary River. Doch nicht so, wie das alle machen – in einem großen Boot -, sondern wir nahmen ein kleines, nur etwa fünf Meter langes, abseits der anderen Schiffe. Salzwasserkrokodile schwammen um uns herum und schnappten mit ihren Mäulern nach dem Hähnchenfleisch , das an einem Stock befestigt war, den Andy hielt. Doch das Fleisch wollte sich nicht lösen. Die Bordkante senkte sich immer tiefer dem Wasser entgegen. Die Notärztin wurde blass. „Lass los!” schrie sie Andy an. Doch endlich hatte das Krokodil seine Beute abgebissen und tauchte damit weg. Die anderen schnappten noch ein bisschen weiter, bis der Eimer leer war.

Am Abend hatten wir unsere zweite Reifenpanne. Diesmal war das rechte Hinterrad platt. Das nötige Werkzeug zum Reparieren fehlte. Doch etwa hundert Meter entfernt leuchtete Licht aus einer Hütte und Andy ging hinüber, um Hilfe zu erbitten. Wie setzten uns ins Gras und warteten, bis der Jeep wieder fahrtüchtig war. Als wie schließlich einsteigen konnten, mussten wir durch das hüfthohe Gras zum Wagen gehen. Dort empfing uns ein grinsender Andy, der sagte: „Jetzt kann ich es euch ja sagen: In dieser Gegend ist die höchste Dichte giftiger Schlangen.“ Und als wir in die dunkle Nacht losfuhren, sahen wir im Scheinwerferlicht die Schlangen vom Weg [flüchten].

Informationen

Nationalpark: knapp 20.000 Quadratkilometer groß, 200 Kilometer von Darwin entfernt, benannt nach dem ursprünglichen Eigentümer des Landes, dem Volk der Gagadju (nicht nach dem Vogel Kakadu). 1980 als erste australische Region als Unesco Weltkulturerbe eingetragen. Hochsaison: Juni/Juli (Trockenzeit). Die Wasserfälle Jim Jim Falls und Twin Falls sind am prächtigsten gegen Ende der Regenzeit im April/Mai. Die Straßen zu den Wasserfällen sind nur mit einem Allradantrieb in der Trockenzeit befahrbar; Panorama-Rundflüge möglich. Flora: mehr als 1260 Pflanzenarten. Fauna: 30-50% aller australischen Vogelarten, 25% aller Fischarten, 50 Säugetierarten, 75 Reptilien- und Froschspezies. Probleme stellen der Uranabbau, Wasserbüffel, Cane Toads (Kröten), Buschmimosen und ein unkontrollierter Tourismus.

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